Identität vs. Anonymität

Jede Webseite im Internet kennt die IP-Adresse jedes einzelnen Besuchers. Das geht technisch gar nicht anders, denn die Anzeige einer Webseite im Browser funktioniert nur, wenn der Webserver die Informationen, Texte und Bilder an die IP-Adresse der Surfers schicken kann. Und natürlich speichert auch jede Webseite im Internet diese Daten, zum Beispiel zur Fehlersuche oder zur statistischen Auswertung, welche Seite an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit am liebsten gelesen wurde.

Diese Daten sind für sich genommen völlig harmlos. Brisant werden die beiden Daten erst, wenn man sie mit anderen Daten zusammenführt.

Angenommen, ein Spaßvogel hinterlässt in diesem Blog eine scheinbar anonyme Bombendrohung. Das Blog wiederum speichert die IP-Adresse des Besuchers und auch die Uhrzeit.

Würden sich an dieser Stelle die Behörden einschalten, könnten sie diese Daten („um 12:23 schrieb die IP-Adresse 192.168.0.1 einen kriminellen Eintrag“) mit denen des DSL-Providers („von 11:55 bis 13:15 hatte DSL-Nutzer Max Mustermann die IP-Adresse 192.168.0.1“) zusammenführen und wüssten: Max Mustermann hat den Blog-Eintrag geschrieben.

Auf diese Weise wird aus scheinbar nutzlosen Adressen die Identität einer konkreten Person – oder besser: der digitale Schatten dieser Person. Denn ob Max Mustermann wirklich zu diesem Zeitpunkt an seinem PC saß oder jemand anderer seine Zugangsdaten missbrauchte, das muss gesondert festgestellt werden.

Wie digitale Identität entsteht

Eine digitale Identität entsteht auf vielerlei Weisen:

  • Die Kombination von einer IP-Adresse, einem Zeitpunkt und einem DSL-Zugangsdienst ist ein Beispiel für eine digitale Identität.
  • Ein anderes Beispiel ist die Kombination von Besitz (etwa einer EC-Karte) und Wissen (die PIN-Nummer der Karte).
  • Oder, im Internet ganz typisch: die Kombination von Benutzername und Passwort ist eine digitale Identität.

Das ist der Unterschied zum wirklichen Leben, wie es noch vor zwei, drei Jahrzehnten war: Wer die Kontoauszüge bei seiner Bank abholte, war als Gesicht und Person bekannt – eine reale Identität. Heute meldet man sich online bei der Bank an – das eigne Ich besteht nur noch aus zwei kurzen Zeichenfolgen. Umso wichtiger ist es, diese Zeichenfolgen zu schützen und sich Gedanken um sein Passwort zu machen.

Ihre „digitale Identität“ ist aber noch viel größer. Sie setzt sich prinzipiell aus allen Einzelinformationen zusammen, die irgendwo über Sie gespeichert sind. Das sind eben nicht nur

  • Ihr Name,
  • Ihre Adresse,
  • Ihre E-Mail
  • und Ihre Bankverbindung.

Sondern das ist auch:

  • In einer Suchmaschine die Info, was Sie gesucht haben. Bei Google zum Beispiel können Sie sich das via https://myactivity.google.com/myactivity ansehen.
  • In einem Shop die Information darüber, was Sie gekauft haben. Bei Amazon zum Beispiel können Sie sich das via https://www.amazon.de/gp/aw/ybh ansehen.
  • Bei einem Reisebüro das Wissen, nach welchen Urlaubsorten Sie sich am liebsten erkundigen, welche Preisgrenze Sie niemals überschreiten und wohin Sie letztendlich dann fliegen.

Der Nutzen digitaler Identität

Amazon zum Beispiel verwendet diese Informationen, um Ihnen täglich neue Angebote zu unterbreiten, die meist sehr gut zu dem passen, was Sie bereits bestellt haben. Das ist natürlich höchst verführerisch, denn die Vorschläge von Amazon treffen fast immer den Geschmack und viele Nutzer haben sie daher lieb gewonnen.

Dennoch sollte man im Hinterkopf behalten: Wenn Amazon weiß, dass Kunde Mustermann eine Vorliebe für Bücher zum Thema Potenzprobleme hat, dann kann das prinzipiell auch ein Dritter in Erfahrung bringen – zum Beispiel ein Kollege, der mal eben den offenen Browser des Amazon-Kunden weiterbenutzt. Und: Wer möchte wirklich darauf vertrauen, dass die historisch gewachsene Liste der gekauften Bücher zum Thema Terrorismus einen nicht zum Verdächtigen in der ja sichtlich hilflosen Rasterfahndung unserer Behörden macht?

Das ist eben das Problem mit der digitalen Identität. Sie hat unter Umständen nichts mit der wirklichen zu tun. Wer von seinen Bekannten ständig gefragt wird, welches Notebook man sich kaufen sollte, wird von Amazon als Notebook-Interessierte wahrgenommen. Aber es stimmt einfach nicht. Ähnliches mag passieren, wenn Systeme uns automatisiert als Terroristen oder Schwerverbrecher einstufen.

Abhilfe schafft, sich bewusst mit seiner Identität zu beschäftigen. Bücher, die persönliche Schwächen, Krankheiten und ähnliches offenbaren oder persönliche Neigungen mit schlechtem öffentlichen Leumund dokumentieren, sollte man beispielsweise einfach nicht online kaufen.

„Im Internet ist man teilweise so freizügig mit Daten, dass man das später mit Sicherheit bereut.“, klagte einst Deutschlands oberster Datenschützer. Das gelte besonders für viele Jugendliche. Seien wir ehrlich: Niemand von uns würde am Rathaus ein Plakat von sich aufhängen, mit dem schlimmsten Bild einer Saufparty als Motiv, dazu eine Liste aller Hobbys und Idole, angeführt von Gothic Rock und Che Guevara.

Im Web hingegen finden sich Reihenweise solche Profile. Weil aber auch Personalchefs Google bedienen können und Personensuchmaschinen es Ihnen noch leichter machen, wirkt sich so was leicht auf die Karriere aus. Die könnte unter Umständen gar nicht anfangen.

Soziale Netzwerke haben natürlich auch ihren Zweck: Über die Angabe unserer Interesse finden wir dort Freunde, die dasselbe Hobby haben wie wir und auch in derselben Stadt wohnen. Auch in Single- und Kontakt-Börsen erhoffen die Nutzer, durch großzügige Angabe aller möglichen Hobbys und Eigenschaften den möglichst am besten passenden Partner zu finden.

Die Schattenseite ist, dass auch jeder andere uns studieren kann. Daher sollte man sich gut überlegen, ob es wirklich notwendig ist, alle Hobbys preiszugeben. Wer nur einfach einen Partner zum Laufen oder Bergsteigen sucht, der sollte diese Infos preisgeben – den ganzen Rest aber einfach weglassen. Gerade bei Business-Netzwerken macht es ohnehin einen besseren Eindruck, die private Seite mit einigen wenigen ausgesuchten Hobbys abzubilden. Und natürlich wirken Bilder im Profil sympathischer, aber eigentlich muss doch niemand sehen, wie Sie aussehen.

Identität vs. Anonymität

Ja, und hier sollte nun was über Anonymität stehen, aber das wurde vergessen.